Die Schriftlesung

Teil 2 Kapitel 7, Seite 82 ff
Ein anderer konkreter Schritt auf dem Weg zur Heiligkeit kann für mich die Lesung der Heiligen Schrift werden. Selbstverständlich gibt es auch viele andere Schriften, die mir diesen Weg erleichtern. Die Bibel aber ist und bleibt das zentrale Buch auf diesem Weg, auch für den Anfänger. Nicht umsonst nennen wir die Bibel das Wort Gottes. Wenn ich allzu oft glaube, Gott nicht zu hören, wenn ich zu ihm rede und keine Antwort vernehme, dann müsste mir eigentlich mein Glaube sagen, dass diese Bücher des Alten und Neuen Testamentes die Antwort Gottes an mich sind. Noch aus einem anderen Grund nennen wir diese Bücher das Wort Gottes. Sie enthalten nämlich nicht einfach das, was Gott irgendeinmal irgendwo gesagt oder getan hat. So interessant zu wissen dies auch sein mag, entscheidend für mich und meinen 'Weg ist, was Gott mir hier und heute sagt. Der Glaube sagt mir, dass die Schrift für mich das real anwesende Wort Gottes ist. In ihr spricht mich die geheimnisvoll aber wirklich gegenwärtige zweite Person der Heiligsten Dreifaltigkeit direkt an. Der Heilige Geist will mir dabei helfen, dieses Wort anzunehmen, auch wenn ich nicht direkt verstehe.

Wenn ich glaube, dass Gott mein Wissen, meinen Verstand und mein Gefühl übersteigt, dann kann ich auch an die Heilige Schrift herangehen als an etwas, das mich grundsätzlich übersteigt. Ich habe erlebt, dass dort, wo ich alles genau verstehen wollte, mich diese Bücher oftmals fast abschreckten. Jedes Mal aber, wenn ich versuche, Gott durch dieses Buch einfach zu mir sprechen zu lassen, dann bleibt zwar manches, oft sogar vieles, unklar und im Augenblick vielleicht unbedeutend für mich. Aber ich weiß, Gott spricht mich an. Irgendwann wird auch dieses Wort, das ich heute erhalte, zum Anruf Gottes für mich, zur Antwort Gottes auf meine Fragen.

Wenn es mir gelingt, in dieser Haltung an die Heilige Schrift heranzugehen, dann wird die Bibellesung eine spannende Angelegenheit. Ich schlage das Buch auf und lasse mich überraschen, was Gott mir heute sagt. Wird es ein Wort sein, das mir den Augenblick erhellt und erleichtert? Oder ist es etwas, das mir später einmal plötzlich eine Antwort geben wird, wenn ich sie brauche? Werde ich verstehen, oder bleibt das Gelesene im Dunkeln? Werde ich einen bekannten Abschnitt völlig neu erleben, wird mir ein neuer Aspekt aufgehen oder wird meine bisherige Ansicht bestärkt und bestätigt? Wenn es mir gelingt, offen zu bleiben für das Wort Gottes, dann ist Gott auch immer für eine Überraschung gut.

Auch unsere Mutter, die heilige Kirche, legt großen Wert auf die Heilige Schrift. Ihr Gebetsschatz stützt sich sehr stark darauf, besonders auf das Buch der Psalmen. In der heiligen Liturgie nimmt die Bibel einen Ehrenplatz ein. Das Evangelium ist das Zentrum des Wortgottesdienstes. Die Ehrungen, die diesem Buch zuteil werden, sollen mich immer wieder daran erinnern, dass hier nicht einfach irgend ein Buch gezeigt wird, sondern das in einer ganz besonderen Art personal gegenwärtige Wort Gottes. Manchmal bin ich versucht, auch hier in einer Art Analogie das Wort "Realpräsenz" in den Mund zu nehmen, auch wenn ich weiß, dass dieser Begriff eigentlich für das Allerheiligste reserviert ist.

Es gibt verschiedene Methoden der Bibellesung. Die eine ist es, spontan irgendwo das Buch aufzuschlagen. Eine andere besteht darin, die ganze Bibel Stück für Stück, Abschnitt für Abschnitt zu lesen. Eine dritte ist etwa ein Bibelkalender, der mir jeden Tag einen ausgewählten Abschnitt vorlegt, oder die Lesung der Tagestexte, die die Kirche in ihrer Liturgie vorschlägt. Alle Methoden haben ihre Vorteile. Jede kann in einer bestimmten Situation für mich besser sein. Eines aber ist in jedem Fall sehr nützlich: die Regelmäßigkeit. Sie hilft darüber hinweg, wenn mir diese Lesung vielleicht auch längere Zeit - nicht das bringt, was ich mir erhoffe. Und sie schenkt mir einen Wissensschatz an Gottes Wort, aus dem ich in den unterschiedlichsten Situationen des Alltags schöpfen kann.

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