Mein
Herr und Mein Gott.
Du bist ganz Liebe. Das glaube ich. Du bist aber auch ganz
Gerechtigkeit. Auch das ist mein Glauben. Du bist ganz Barmherzigkeit.
Du bist aber gleichzeitig jener, welcher mir entgegen tritt mit dem
Anspruch: «Ich bin der Herr, Dein Gott, Du sollst …» Ja, Du bist mein
Schöpfer und mein Herr. Und doch bist Du auch ganz mein Vater und mein
Bruder.
Du bist mir ganz nahe. Das glaube ich. Du bist aber auch der ganz
Ferne, der Unnahbare. Du bist jener, den die Himmel und die Himmel der
Himmel nicht zu fassen vermögen. Und doch nimmst Du mich bei der Hand
und führst mich. Du bist der Allwissende und gleichzeitig jener, der
sich für mich interessiert, sich um mich kümmert. Du bist der
Allmächtige. Du bist aber auch – je vielleicht gerade deswegen – jener,
welcher mir Freiheit schenkt. Du bist jener, welchem aller Ruhm und
jede Ehre gebührt und diese auch fordert. Doch Du bist auch ganz jener,
welcher sich mit dem Gestammel eines kleinen Kindes begnügt. Du bist
Liebe und Du bist Gott. Du bist der liebe Gott.
Du warst schon als es noch keine Zeit gab und Du wirst immer noch sei,
wenn es einmal keine Zeit mehr geben wird. Du bist ewig. Und doch bist
Du jetzt ganz bei mir, bei uns, in diesem Augenblick, in dieser Zeit,
in dieser vergänglichen Welt. Doch Du bist nicht nur bei mir. Du bist
auch bei allen anderen Menschen, bei jedem Einzelnen, genau so ganz wie
bei mir. Du bist ganz in dieser Welt, aber auch ganz im ganzen
Universum, ja über die Grenzen des Universums hinaus. Du warst in den
früheren Zeiten und bist genauso jetzt und wirst genauso in Zukunft
sein.
Du bist nicht an Raum und Zeit gebunden. Und doch hast Du mit uns Raum
und Zeit geteilt in Deinem Sohn, unserem Herrn Jesus Christus. Du hast
unser Leid mit uns geteilt. Du hast unseren Tod mit uns geteilt. In
Deiner Auferstehung aber hast Du uns Deine Unsterblichkeit gezeigt, ja
mehr noch: Durch sie hast Du uns unsere Unsterblichkeit wieder
geschenkt. In all dem aber bist Du der Herr geblieben. Wir sehen Dich
am Kreuz für uns, für unsere Sünden sterben, Dich, welcher mit einem
Allmachtswort alle Sünden aller Menschen aller Zeiten und Orte hätte
wegwischen, oder auch mit dem gleichen Wort uns Menschen, die ganze
Erde hätte auslöschen können.
Du bist ganz aufgefahren in den Himmel. Und Du bist ganz bei uns alle
Tage bis ans Ende der Zeit. Und Du bist seit Deiner Erlösertat noch in
einer ganz anderen Art und Weise bei uns, immer als der ganze,
unendliche Gott, hier aber ganz klein, unscheinbar, ja nur für den
Glauben erkennbar, im Allerheiligsten Sakrament des Altares. Du bist
ganz gegenwärtig sowohl im Brot wie im Wein. Du bist ganz gegenwärtig
in jedem Teil, jedem Teilchen der Hostie, in jedem Tropfen des Weines.
Und Du bleibt ganz einer in all den vielen Hostien, in all dem Wein,
welche über den ganzen Erdkreis jetzt konsekriert werden, je
konsekriert wurden und auch später noch konsekriert werden.
Du bist Gott. Du bist der Einzige und der Eine und keine Spaltung und
Trennung ist in Dir. Und doch bis Du drei, der Vater, der Sohn und der
Heilige Geist. Jede dieser drei Personen ist ganz Gott. Und doch sind
alle zusammen nur ein Gott. Ist das vielleicht die tiefste Bedeutung
dessen, was wir katholisch, allumfassend nennen, jene absolute Einheit,
welche alles zu einem einzigen Ganzen vereint, was in sich vielfältig
ist, ja manchmal sogar als gegensätzlich erscheinen mag. Unsere
Sprache, ja unser ganzes menschliches Denken, versagt vor diesem
Geheimnis, in welchem Du Dich uns offenbarst.
Du offenbarst Dich uns. Nicht wir haben Dich erkannt. Du hast Dich uns
zu erkennen gegeben. Du gibst Dich uns zu erkennen in einer Art und
Weise, welche unser Verstand als wahr und in sich logisch akzeptieren
kann. Du gibst Dich dem Weisen und Gelehrten ganz zu erkennen, das
heisst soweit er dazu fähig ist. Du gibst Dich aber genauso dem Kleinen
und Einfachen ganz zu erkennen, in einem gewissen Sinn meist sogar noch
besser, tiefer, beglückender als den Klugen. Denn die Gelehrsamkeit des
Menschen bleibt gerne an den Details hängen. Das kleine Kind denkt und
fühlt noch viel mehr in einer Gesamtsicht. So dürfen und sollen auch
wir vor Dir, unserem Herrn und Gott, wie kleine Kinder werden, wie
diese denken, Dich immer möglichst ganz und unteilbar und doch so
vielfältig anzunehmen, wie Du bist. So dürfen auch wir neugierig immer
mehr über Dich wissen, Dich immer mehr erfahren, in eine immer bessere
Beziehung zu Dir treten wollen, wenn wir dabei Deine Grösse und
Unergründlichkeit nie vergessen.
Mit dieser kindlich demütigen Neugier dürfen wir dann auch an die Lehre
unserer Kirche, an unseren ganzen, katholischen Glauben herangehen, aus
deren Schatz wir, wie der kluge Hausvater der Schrift, immer wieder
Altes und Neues hervorholen können. Unser ganzer, katholischer Glaube
ist ja ein solch allumfassendes Geschenkt, dass wir es in diesem Leben
nie ganz werden ausschöpfen können.
Das ist ja das spannende, das beglückende, das herausfordernde an
unserem katholischen, Glauben, dieser unerschöpfliche Reichtum. Das ist
auch – wenn ich es einmal so sagen darf - das spannende, das
beglückende und herausfordernde an Dir, mein Herr und mein Gott, und an
dieser Beziehung, zu der Du mich einlädst, zu welcher ich eigentlich
gar nicht fähig wäre, und hätte ich alle Weisheit und Erkenntnis dieser
Welt, hätte aber den Glauben nicht, den ganzen, katholischen,
allumfassenden Glauben einerseits und jene kindliche Einfalt, welche
mich – auf Dein Wort hin – sagen lässt: «Abba, Vater.»
Amen